Warum amerikanische Firmen Sprachbarrieren einreißen und Europa versagt

Die Europäische Kommission will nach jahrzehntelanger Förderung in den Bereichen Sprache und Übersetzungstechnologien jetzt den Geldhahn zudrehen. Die europäischen Forscher sind konsterniert und fragen sich nach dem Grund. Eine Vermutung lautet, dass die Politiker diese Förderungen als Geldverschwendung ansehen. Trotz des europäischen Förderprogramms für maschinelle Übersetzung scheint es, als haben Firmen aus den USA das Rennen gewonnen. Andrus Ansip denkt vielleicht „Sollen sich Google und Microsoft das doch aufteilen“. Ansip ist Vizepräsident der Europäischen Kommission und Kommissar für den digitalen Binnenmarkt. Er muss sich allerdings auch noch um eine ganze Reihe anderer Dinge kümmern. So soll er zum Beispiel für einen raschen Anstieg beim grenzübergreifenden Onlinehandel sorgen. Im Vergleich zu 12 % Ende 2013 soll der Anteil der Europäer, die online einkaufen, bis Ende 2015 auf 20 % ansteigen. Und wie will er das erreichen? Durch Investitionen in schnelles Breitband und in digitale Infrastrukturdienste. Das sollte reichen. Oder muss man vielleicht auch berücksichtigen, dass die 300 Mio. Europäer 24 verschiedene Sprachen sprechen? Vielleicht.

Wir wissen es nicht. Obwohl Budgets, Besprechungen und Agenden über die Website der Europäischen Kommission öffentlich zugänglich sind, ist es manchmal schwer nachzuvollziehen, wie Entscheidungen und Richtlinien herbeigeführt werden. Ganz sicher spielen Hoffnung, Angst und Stolz auch eine Rolle. Die Forscher, die nun befürchten, um Ihr Lebenswerk gebracht zu werden, glauben, dass in diesem Fall wohl Angst und Stolz stärker als die Hoffnung sein wird. Würde ein Politiker, der auf seine Karriere bedacht ist, wirklich eine Herausforderung eingehen, die nicht in wenigen Jahren zu lösen ist? Und mit Hilfe von Computern, qualitativ hochwertige Übersetzungen anzufertigen, ist eine solche Herausforderung.

Vielleicht ist es Pragmatismus (sollen Google und Microsoft sich doch kümmern) oder Angst (das kann man gar nicht lösen). In jeden Fall ist es nicht akzeptabel, hier die Ignoranz gewinnen zu lassen. Auch wenn wir über schnelles und kostengünstiges Internet verfügen, weiß doch jeder, dass Fremdsprachen eine zu überwindende Hürde in der Kommunikation darstellen (ich kann das nicht lesen, also kaufe ich es auch nicht). Außerdem darf man eines der Gründungsprinzipien der EU nicht außer Acht lassen – wir leben in einer multilingualen Gesellschaft. Den Bürgern der EU wurde versprochen, dass Sie niemals ihre eigene Sprache aufgeben müssen, um Teil der EU sein zu können.

Was ist also passiert? Was ist schief gegangen? Durch die dauerhafte und gezielte Förderung von Forschungsprojekten im Bereich Sprache und Übersetzung, wie z.B. EUROtra, Verbmobil und Moses, haben sich in den vergangenen 20 Jahren viele kluge Köpfe mit dem Thema beschäftigt. Wenn es allerdings um die Vermarktung der Ideen ging, waren nur wenige bereit dazu. Ein paar wenige kleine Start-Ups, aber sonst ist aus den Projekten nicht viel entstanden. Konzerne wollten sich da lieber nicht die Finger verbrennen.

In Europa findet man zwar die Cleveren, aber nicht die Mutigen. Für amerikanische Unternehmen ist die Sprachbarriere einfach nur ein weiteres IT-Problem. Man nimmt einfach nur etwas Programmcode, Daten und Geld in die Hand und wird es damit schon lösen können. Vielleicht aber auch nicht. Es gibt nur einen Weg, dies herauszufinden. Man muss es probieren und dann von den Nutzern abfragen, was sie vom „Minimal funktionsfähiges Produkt“ (Minimum Viable Product, eine Methode zum Testen und Entwickeln neuer Geschäftsmodelle) halten. Nur über Misserfolge gelangt man schließlich zum Erfolg. Für Europäer ist die Sprache allerdings weit mehr als nur ein IT-Problem. Sie nehmen die Sache persönlich. Viele müssen erst den Schock überwinden, dass es für Millionen von Nutzern akzeptabel zu sein scheint, mit nicht perfekter maschineller Übersetzung leben zu können. In Europa gibt es eine lange Tradition der eigenen Sprache. Vielleicht liegt Tief im Innern auch der Wunsch begraben, die eigene Sprache nicht durch Computer entschlüsseln und entzaubern zu lassen.

Genau aus diesem Grund – dem besonderen Verhältnis der Europäer zu ihrer Sprache – glauben wir, dass die Kommission die Erforschung dieses für die freie Verständigung in 24 Sprachen wichtigen Bereichs nicht einfach aufgeben darf. Nach 60 Jahren Forschung sind wir so nah dran! Kaum vorzustellen, wie erfolgreich der digitale Binnenmarkt wäre und welches Wachstum die Wirtschaft erfahren würde, wenn jeder Europäer in seiner eigenen Sprache sprechen und all seine europäischen Mitbürger verstehen könnte. Die EU-Bürger würden in allen Bereichen profitieren.

In einem Bericht zum Markt für maschinelle Übersetzung hat TAUS (MT Market Report im August 2014 beschrieben, wie Übersetzung zu einem Werkzeug wird, das bald in jeder Bildschirmmaske, jeder App, jedem Gerät und jetzt in jedem „Ding“ enthalten ist. Maschinelle Übersetzung ist eine treibende Kraft und Katalysator für Innovationen in vielen Bereichen des Lebens und der Geschäftswelt. Ein gerade veröffentlichter, weiterführender Artikel (Moses MT Market report) beschreibt, wie die Open-Source-Technologie von Moses den Markt innovativer gemacht und den Wettbewerb erhöht hat. Die Europäische Kommission hat mehr als 10 Jahre lang die Entwicklung von Moses unterstützt und damit erreicht, dass Moses jetzt 20 % Anteil am Markt für maschinelle Übersetzung weltweit hat.

Das Ziel wird erreicht werden, ob mit oder ohne Förderung durch die Kommission. In einer aktuellen Ausgabe des TAUS Review stellt Andrew Joscelyne die Pläne von eBay vor, alle Artikel in ganz Europa zum Verkauf anzubieten. Mit der Unterstützung von MÜ. eBay erwartet ein Wachstum im grenzübergreifenden Handel von 30 %. Eine Vielzahl kleinerer und auch größerer Unternehmen machen sich neben Google, Microsoft, eBay und Facebook bereit, uns bei der Kommunikation über Sprachgrenzen hinweg zu unterstützen. Die Welt wird die Sprachbarriere überwinden, mit oder ohne Unterstützung durch die EU. Es ist ein großer Fehler der EU, gerade jetzt die Unterstützung zu entziehen.

Gerade jetzt ist die Zeit reif für eine Kooperation zwischen Europa und Amerika, um eine solche großartige Idee gemeinsam umzusetzen. Es ist an der Zeit, das Human Language Project  zu starten. Angelehnt an das Human Genome Project hat das Human Language Project zum Ziel, alle verfügbaren Daten zu den meisten auf der Welt gesprochenen Sprachen zu sammeln. Der offene und frei verfügbare Datenbestand der menschlichen DNA hat der Medizintechnik einen nie zuvor erlebten Wachstumsschub gegeben und große medizinische Entdeckungen ermöglicht. Ebenso wird das Human Language Project die Grundlage für große Fortschritte in der Bildung, der Gesundheit und dem Wohlstand aller Menschen schaffen. (Lesen Sie auch den Artikel und die vielen Kommentare in Bezug auf das Human Language Project unter “It’s time for a Big Idea”).

Es ist an der Zeit, dass sich die Cleveren in Europa und die Mutigen in Amerika zusammentun. Um dieses großartige Projekt zu initiieren, wäre es bereits ausreichend, wenn sowohl die Europäische Kommission als auch die Amerikaner jeweils eine Milliarde investieren würden. Das ist nicht mal 1 % des Gesamtbudgets der Kommission.

Wir laden alle Wirtschaftsführer und Politiker zum TAUS Industry Leaders Forum am 1. und 2. Juni 2015 in Berlin ein . Dort werden wir u.a. die folgenden Fragen diskutieren:

  • Sollen Google und Microsoft die Sache unter sich ausmachen, oder wollen wir selbst in Übersetzungstechnologien investieren?
  • Was können Regierungen für die Übersetzungsbranche tun?
  • Enthüllungen aus der Übersetzungsbranche. Vor- und Nachteile von geteilten Daten.
  • Übersetzungsqualität als Unternehmenskennzahl
  • Brücken bilden zwischen Wirtschaft und Bildung

Dieser Artikel ist eine Übersetzung aus dem Englischen.

Original „The Brains but not the Guts: Why American companies crack the language barrier and Europe Fails“ © TAUS, 2015